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Trotz Schnellstudium auf das Praxisjahr warten, die Regelstudienzeit macht's möglich

Ausgebremster Turbo-Student - Zu schnell für die Uni

Kommentar

Regelstudienzeit einmal anders. Meist wird sie ja angesichts überfüllter Seminare und diverser Studentenjobs knapp, deutlich oder extrem überschritten. Es gibt jedoch auch Ausnahmen. Wie schön für diese seltenen Exemplare, denkt man sich mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid. Doch scheinbar ist dem doch nicht so: zumindest das saarländische Hochschulgesetz bzw. die deutsche Approbationsordnung machen diesen Studenten einen Strich durch die Rechnung. Ohne eine ausreichende Semesterzahl geht es erst einmal nicht weiter, das Praxisjahr wird nicht genehmigt.



Er ist der Galopper des Jahres. In nur sieben Semestern spurtete Marco Speicher durchs Medizinstudium. Lohn für seinen Ehrgeiz: Eine EU-Richtlinie schickt den 27-Jährigen ins Wartezimmer statt an den OP-Tisch - anderthalb Jahre muss der Saarländer sich bis zum Praxisjahr gedulden.

Däumchendrehen gehört nicht zu den Hauptqualifikationen von Medizinern. Genau darin aber soll Marco Speicher sich jetzt üben: Der 27-jährige Medizinstudent aus Friedrichsthal bei Saarbrücken hat zu schnell studiert - und muss nun eine staatlich verordnete Zwangspause einlegen. Weil er für sein Studium nur sieben statt wie vorgeschrieben zehn Semester benötigte, muss Marco die Zeit, die er durch sein erfolgreiches Turbo-Studium gespart hat, nun öde abbummeln. Erst 2009, so sagt die Uni, darf er sein Studium fortführen. "Bis dahin muss ich mir jetzt irgendwie die Zeit vertreiben", sagt der Doktor Düsentrieb aus dem Saarland. "Und das nur, weil ich schneller war als andere."

Sprinter Marco Speicher: Per Zwangsrezept ins Wartezimmer

Um sein kostenintensives Studium zügig durchzuziehen, hatte Marco Speicher sich extra beeilt. Nach seinem Erststudium zum Wirtschaftsingenieur (vier Jahre inklusive Praxisjahr, Diplomarbeit mit 1,0) wollte er noch Doktor der Medizin werden. Doch weil er für sein Zweitstudium die Campusmaut löhnen und sein Studium komplett selbst finanzieren musste, trat er von Beginn aufs Gaspedal. Dann regnete es während seines Turbo-Studiums auch noch gute Noten: Eine glatte Zwei steht unter seinen Leistungsscheinen. Selbst seine Doktorarbeit liegt schon lange auf dem Tisch seiner Professorin.

"Bummeln konnte ich mir einfach nicht leisten", sagt der Sprint-Student. Doch jetzt holt ihn die Eile ein. Denn zum Doktortitel fehlt ihm noch sein Praxisjahr. Und genau das darf er nicht antreten: Weil eine EU-Richtlinie aus Brüssel vor dem Praxisjahr ein Mindeststudium von fünf Jahren vorschreibt, gibt es für Marco Speicher jetzt Bummeln auf Rezept. Abstrus, findet er: "Ich verliere ja schließlich nicht nur Lebenszeit, ich verliere auch Wissen."

Verwirrend: Ein "oder" wird zum "und"

Dabei hört sich in der entsprechenden EU-Richtlinie D2005/36/EG, Artikel 24, eigentlich alles so simpel an: "Die ärztliche Grundausbildung umfasst mindestens sechs Jahre oder 5500 Stunden theoretischen und praktischen Unterrichts an einer Universität oder unter Aufsicht einer Universität." Abzüglich des Praxisjahres bleiben damit fünf Studienjahre übrig. Und weil Marco die 5500 geforderten Stunden längst absolviert hatte, stand für ihn sein zügiger Abschluss nicht in Frage.

Doch was sich so leicht liest, ist es gar nicht: Denn das "oder" soll in Wirklichkeit "und" bedeuten. Das sorgte auch an der Uni für Verwirrung. Daher wanderte der "Fall Speicher" von der Ärztekammer über das Landesministerium bis auf den Schreibtisch von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Von ihr heißt es nun: "Die Europäische Kommission hat bereits mehrfach klargestellt, dass die 'oder'-Option nicht als Alternative zu verstehen ist, sondern innerhalb von sechs Jahren mindestens 5500 Stunden unterrichtet werden müssen."
  Übersetzt: Obwohl Speicher alle nötigen Leistungen längst erbracht hat, muss er aus Prinzip noch anderthalb Jahre warten. Eine Ausnahmeregelung, so stellt die Ministerin klar, könne es auch für besonders begabte Studierende nicht geben.

Bei derlei Prinzipiendichte stehen selbst Volker Linneweber, Präsident der Saarland-Uni, die Haare zu Berge: "Eigentlich sollten wir uns über solch ehrgeizige Studierende freuen. Stattdessen müssen wir Marco Speicher jetzt bestrafen." Und auch Franz Gadomski, Präsident der Saarländischen Ärztekammer, schüttelt den Kopf: "Wir halten eine bildungspolitische Initiative auf Bundesebene, aber auch auf der Ebene des Europäischen Parlamentes für dringend geboten", heißt es in einer Stellungnahme die SPIEGEL ONLINE vorliegt.

Zwangsentschleunigt durch die EU

Auf Bundesebene verlangt Nele Hirsch, bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, nun Taten von der Bundesregierung. "Durch die Studiengebühren werden Studierende faktisch dazu gezwungen, im Eiltempo zu studieren. Wo das trotz aller Widrigkeiten gelingt, werden ihnen dennoch Steine in den Weg geworfen", sagte sie SPIEGEL ONLINE.

Die saarländische Europaparlaments-Abgeordnete Hiltrud Breyer sieht das ähnlich: "Ich finde es völlig absurd, dass man diesen Studenten jetzt dazu verdonnert, seine Zeit totzuschlagen, nur weil die Regelungen selbst nicht flexibel genug sind. Dabei reden doch gerade alle darüber, wie notwendig eine Flexibilisierung an den Unis sei", so die Grünen-Politikerin. Sie kündigte eine parlamentarische Anfrage bei der Europäischen Kommission an.

Bedauern erntet Marco Speicher also von allen Seiten, Bewegung gibt es trotzdem nicht. Denn die Behörden haben Angst, dass aus dem Durchstarter des Jahres ein Kostenfaktor für Jahrzehnte werden könnte: In einer Stellungnahme, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, fürchtet der saarländische Gesundheitsminister Josef Hecken (CDU) gar, dass eine Ausnahmeregelung für Marco Speicher "ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland zur Folge hätte". Mit einer Ausnahme für Speicher, so die Argumentation, gefährde Deutschland die Vergleichbarkeit seiner Studienabschlüsse.

Harte Geschütze für einen einfachen Fall. Aus dem Einzelfall an der Saar ein Spannungsthema für die Europäische Union zu machen? So wichtig ist den Ministerialbeamten der Turbo-Student dann doch nicht.

Marco Speicher nützt das Gezerre wenig. Er hat sich mit der Zwangsentschleunigung abgefunden und will die staatlich verordnete Ruhepause nun im Ausland verbringen: Die Schweizer Gesetze erlauben es ihm, mit seinen Qualifikationen bereits Praxiserfahrungen zu sammeln. Immerhin hat sein Hochschulrektor mittlerweile Entgegenkommen signalisiert: Zumindest von den Studiengebühren soll der "Härtefall" Marco Speicher für die betreffenden Semester befreit werden. Denn eigentlich hätte er für die Zwangspause auch noch löhnen sollen - obwohl klar war: Eine Praxisgebühr wäre das ganz sicher nicht gewesen. Quelle

10.04.2008, Spiegel online, www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,546427,00.html

Tags

Regelstudienzeit, studieren, Marco Speicher, Medizinstudium, Praxisjahr, Schnellstudium, Prüfung, EU-Richtlinie, Approbationsordnung



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